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„Ein echter Rawetzer“ - Charaktereigenschaften

In seiner Chronik zeigt Georg Leopold sich in Rollen, die seinem Amt als Richter und Bürgermeister geschuldet sind. In seinen Handlungen geht er nicht über den Rahmen hinaus, was von einem vorbildhaften Hausvater erwartet wird. Für ein Privatleben gab es damals auch weder Begriff noch Raum. Nur an wenigen Punkten scheint das Individuum Georg hindurch.

Von Georgs Jugend berichtet nur sein Nachruf.
Seine Religiosität und Bildung verdankt er nicht nur der Erziehung. Georg selbst zeigte großes Interesse an wissenschaftlichen Werken. Als er bei einem anderen Geistlichen in Eger wohnte, standen seiner Wissbegier die Bibliotheken der großen Stadt offen. Sein Vater wollte aber nicht, dass er studiert, sondern er sollte Riemer werden. Georg war gehorsam wie man es von einem Christenkind erwartete.
Nach Abschluss seiner Lehre ging er auf die Walz. Diese Freiheit nutzte er. Georg war reiselustig. Als Geselle reiste er durch Ungarn, Polen, Preußen, Kur- und Livland, Schweden, Dänemark, Holland und Italien.[1] Später würde er mitten im Krieg durch die Schweiz und das Oberrheingebiet reisen (um in Straßburg das Erbe seines Bruders zu regeln). Seine Reiseerfahrungen legte er in einem Itinerar nieder, das aber wohl verschollen ist. [2]
Er war bekannt, dass er besonders gerne historische und politische Bücher las und viele Landkarten besaß.
Wie er Hand und Verstand verbinden konnte, zeigt darin, dass er Landkarten zeichnen konnte. 1646 wollte ein Offizier eine Karte aller Orte, Passstraßen und Gewässer, Georg fügte aber noch die Brücken und Entfernungen hinzu. Damit hätte er dem Generalstab sehr wertvoll sein können. Er zog es aber wohl vor, lieber als Bürgermeister fremde Truppen, die nie wussten, ob sie auf Freund- oder Feindterritorium waren, auf falsche Wege zu schicken.[3]
Vielleicht hat ihm sein Horizont auch beim Handel geholfen, schließlich muss er irgendwie an seinen Reichtum gekommen sein. Der Fernhandel erklärt auch, wie er zu seinen Nachrichten über das Weltgeschehen gekommen sein könnte, denn „Zeitungen“ waren damals nur eine teure Neuheit.
Er nutzte sein Wissen und seinen geistigen Horizont, um seine politischen Ziele zu erreichen. Rat, Richter und Bürgermeister in dem kleinen Markt hätte er auch durch seine Beziehungen werden können. Für seine Bewertung als Politiker sind nicht die Leistungen wichtig, die in seiner eigenen Chronik stehen – die teilt er bescheiden mit seinen Kollegen. Aber sein Nachruf zeigt die Anerkennung der Bürger für ihren ältesten Bürgermeister. Selbst der Kaiser, gegen den Georg Leopold störrisch die Aufrechterhaltung der evangelischen Konfession verteidigt hatte, schätzte ihn. Weil Georg seinem gottgegebenen weltlichen Herrn treu war, verlieh Leopold I. (1640–1705) seinem Haus 1672 ein Privileg.
In seiner eigenen Chronik gab Georg Leopold viel weniger von seinem Charakter preis. Natürlich kam er den Erwartungen der Leser entgegen. Hausväter durften nicht sentimental über ihre Kinder und Frauen sprechen. Bescheiden weist Georg in der Chronik seinen Kollegen viele politisch wichtige Aktionen zu und verschweigt Fehler. Seine fromme Schreibweise ist einer Zeit geschuldet in der Politiker ihr Handeln so legitimierten.
Georgs persönlicher Glaube ist tief aber nicht gerade lebensfroh. Gott ist für ihn mehr der zürnende, selten der liebende. Das muss weniger an seiner Erziehung in zwei geistlichen Haushalten liegen, als an der Schwere der Zeitläufe. Georg ist gottergeben wie Hiob. Er dankt Gott für das Überleben und für die Erhaltung der Religionsausübung. Aus Bescheidenheit dankt er nicht offen für seinen Reichtum und die Freude an seinen Kindern.
Georgs Menschenbild war auch entsprechend negativ.
Der melancholische Grundton wird deutlich an der Ausführlichkeit mit der er auf Selbstmorde eingeht. Diese galten eigentlich als Verbrechen schlimmer als der Mord, weil sie in Gottes Willen eingriffen. Georg aber verweist auf die geistige Verwirrung, Besessenheit durch Geister[4]  oder die Verzweiflung der Selbstmörder.[5]
Georgs größte Ängste verbinden sich mit Feuer. Er sammelt überproportional viele schreckliche Brandgeschichten. Schon an seinen Großvater erinnerten sich die Mitbürger besonders, weil er häufig predigte und betete, Gott möge die Gemeinde vor Feuer schützen.[6] Die feuerpolizeilichen Maßnahmen von 1659 erwähnt Georg in der Chronik nicht.
Für moderne Wissenschaft haben die Redwitzer nach Georgs Darstellung wenig Verständnis. Seine Bildung ging nicht über die Grenzen seiner konfessionellen Prägung hinaus, er war kein Frühaufklärer. 1654 berechnete die Astronomie eine Sonnenfinsternis voraus und die Medizin warnte vor den Veränderungen der Luft und Infektionen durch die Finsternis. Die empfahl Diät zu halten, Arzneimittel zu nehmen und das Haus nicht zu verlassen. Die Bürger nahmen daraufhin Leopold machte sich lustig über Leute, die Gottes Ratschluss abwenden wollten, indem sie wahllos Mittel und „Geschmier“ von alten Weibern kauften.
Georg war recht penibel. Das wird nicht nur an den genauen Beschreibungen der Stärke und der Anführer der Truppen deutlich, sondern auch daran, dass er das Archiv ordnet und Aufstellungen macht, weil vor ihm nie jemand auf diese Idee kam: Listen der Bürgermeister, Statistiken zur Preisentwicklung, Schuldenübersichten, Ausgaben für Kriegsbeiträge und Einquartierungen nach 1639.[7]
Sein Interesse an Kunst zeigt sich selten und es sind die entspanntesten Stellen seiner Chronik. Seine Lust am Bauern und Ausschmücken der Kirche werden in der Chronik zwar offenkundig, auch sein Dilettieren im Dichten. Sein Verständnis für Malerei und Architektur erwähnt er aber nur anlässlich eines Besuchs der Festung und der Staatsräume von Kulmbach.[8]
So war die Liebe zu Ironie und sarkastischem Witz wohl auch typisch Georg. Aberglauben verspottete er als Marotte alter Weiber. 1645 gab es ein Kerzenwunder in Oberredwitz: Obwohl die Kirche über Nacht verschlossen war, brannte eine der Kerzen herunter. Da sie niemand angezündet haben könne, sei das ein Wunder und die Leute warteten auf ein Wunder. Leopolds sarkastischer Kommentar:

„Ist aber nichts anderes erfolgt, nur dass die Magd des kurz gedachten Kirchenvaters schwanger geworden ist. Er hat sich mit ihr fortgemacht und sein Weib sitzenlassen.“[9]

Wenn Soldaten ihm einen Streich spielen, erzählt er das als beißende Anekdote. 1641 lagen mehrere Regimenter auf den Dörfern und die Bürger kontrollierten am Tor jeden. Da erlauben sich einige Soldaten einen Aprilscherz indem sie
„umb Mitternacht bei dem Farbhaus eine Kuh lebendig über die Mauer gebracht und davongetrieben. […] Diese Bursch haben uns diese Nacht nit allein viel gekostet, sondern sie haben uns auch einen solchen Possen bewiesen, dass wir es ihnen noch mit dem Teufel zu danken haben. […] Auf solche und dergleichen / andere Weise sind wir von solchen Leuten oft umb unser Geld, Hab und Gut beschissen und betrogen worden.“[10]

Andere Soldaten liehen sich Vorspann für ihre Wägen und als sie vor dem Markt waren, spannten sie die Pferde aus und ritten davon – die Bürger waren verdutzt von diesem schlitzohrigen Raub.
Bei Einquartierungen verloren die Hausväter ihre Kontrolle. 1647 sucht ein Rittmeister Händel mit Bürgermeister, Richter und Rat:

Ganze Töpfe voll haben wir mit ihm auf des Kaisers Gesundheit austrinken müssen und durften uns nit widern“[11]

Wahrscheinlich war Georg auch nicht nur unterwürfig und diplomatisch, sondern auch schlitzohrig.
Als ihn 1644 betrunkene Kroaten auf der Landstraße erschießen und ausrauben wollen, hält er sie mit guten Worten hin und reitet fort. Die wollen dann seine Gefährten überfallen und einige Frauen, doch die entkommen ihnen auch.[12]
Liebe und Sanftmut ist auch ein Wesenszug, den seine Mitbürger ihm nachsagten. Er förderte jeden ohne Ansehen der Person, half Witwen und Waisen. [13]
Selten dagegen schreibt Leopold über seine Kinder und Frau. Elf Geburten überging er in der Haus-Chronik, seine Hochzeit auch. Im Krieg musste er seine Kinder weit weg schicken und erwähnt das nur einmal. Zweimal erwähnt er nur seinen Sohn Christian und dann wird er auch sentimental: Bei der Geburt, weil er hofft, dass er ein rechter Christ wird (er selbst war nämlich an diesem Tag Fieberkrank und wäre beinahe tot gepeitscht worden). 1648 ertrinkt Christian beinahe und wird von Waschfrauen gerettet. [14] Der Mangel an Sentimentalität erstaunt, würde er doch sonst alles Gut hergeben und in Flammen aufgehen lassen, auch sein Leben, solange nur seine Familie überlebe.
Sein Sterben inszenierte Leopold dann geradezu. Weihnachten 1672 war er bereits dem Tode nahe, erholte sich jedoch wieder. Daraufhin ordnete er seinen Nachlass

„Nun steht der Tod und wartet mein / Jesus mach mich bereit / Daß aufs Blut und Verdienste dein / Ich geh zur Seligkeit.“

1674 ließ er seinen Leichenstein beschreiben, bis auf die Jahreszahl:

"Gott, der im fernen Land Und auf dem wilden Meer
Auch durch die Krieges Heer Gereicht mir seine Hand
Der hat auch endlich mich Durch einen sanften Tod
Aus aller Angst und Noth Genommen seliglich."[15]

Er lässt den Grabstein bereits in die Kirchenwand einmauern, wo seine Vorfahren schon ruhen.
- Diese verschwand irgendwann und heute findet sich eine staatstragendere an ihrem Platz. -
Georg glaubte, dass sich Gottes Willen in Himmelszeichen offenbare. Ein Nordlicht 1630 war für ihn im Rückblick, Gottes Warnung vor dem Krieg. Ein Komet und ein Erdbeben waren Vorzeichen auf den Tod des Kaisers. Selbst in Redwitz konnte der Tod eines verdienstvollen Stadtvaters nicht ohne „Prodigia“ kommen: Leopold vermerkt, dass im Advent 1675 die Totenglocke eines Tages läutete, ohne dass sie jemand betätigt hatte. Ein andermal ertönte im Rathaus das Rufsignal für den Knecht, obwohl kein Rat da war. Schließlich gab es wieder ein Kerzenwunder: in der Stadtkirche brannte eine Kerze ganz hell, obwohl sie am Abend vorher gelöscht worden war und ohne dass das Wachs weniger geworden wäre. Dies war die letzte Eintragung von Georg Leopold in der Chronik.[16]
Acht Monate wurde er immer schwächer, doch fühlte keine Schmerzen. Wahrscheinlich stirbt er an einer Darmerkrankung, Ruhr oder Dysenterie bezeichnet.
An 12. August 1676 (alten Kalenders) meint er noch einmal „Ich muss hinaus.“ Kraftlos bleibt er jedoch im Bett sitzen. In Anwesenheit seiner Familie entschläft er. Die Nachfahren verglichen dies mit Simeons Tod (Lukas 2,25-35).[17]

Fußnoten

[1] Kutzer: Christ-Ritter, S. 29 f.
[2] Kutzer: Christ-Ritter, S. 29 f.
[3] Leopold: Chronik Bd. I, S.
255 [4] Leopold: Chronik Bd. I, S. 196
[5] Leopold: Chronik Bd. I, S. 72 f.; Leopold: Chronik Bd. II, S. 25 f., 229, 306
[6] Priesterlich und Vaetterlich, Kirchen- und HaußRegiment nach Seiferd: HaußRegiment
[7] 1670 wird deutlich, wie sehr er den bisherigen Schludrian der Verwaltung missbilligt. Vgl. Leopold: Chronik Bd. II, S.264 f. 
[8] Leopold: Chronik Bd. I, S. 174
[9] Leopold: Chronik Bd. I, S. 238; Arzberger: Herr Gib Frieden, S. 391
[10] Leopold: Chronik Bd. I, S. 147 f.; Arzberger: Herr Gib Frieden, S. , S. 220 f.
[11] Leopold: Chronik Bd. I, S. 292
[12]Leopold: Chronik Bd. I, S. 212 f.
[13] Kutzer: Christ-Ritter, S. 36 - 38
[14] Leopold: Chronik Bd. I, S. 349
[15] Kutzer: Christ-Ritter, S. 38 f.
[16] Leopold: Chronik Bd. I, S. 306 f. Braun vermerkte in seiner Transkription der Chronik nie die Seitenüberschriften. Prodigia an dieser Stelle heißt, das Geschilderte als „Vorzeichen“ für den Tod zu verstehen.
[17] Kutzer: Christ-Ritter, S. 40 – 42; Zu Simeon vergl.: Bibel. Einheitsübersetzung, Lukas 2, 25 – 35:
"Und siehe, es war in Jerusalem ein Mensch, mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels; und der Heilige Geist war auf ihm. / Und ihm war von dem Heiligen Geist eine göttliche Zusage zuteil geworden, daß er den Tod nicht sehen solle, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe. (27) Und er kam durch den Geist in den Tempel. Und als die Eltern das Kindlein Jesus hereinbrachten, um mit ihm nach der Gewohnheit des Gesetzes zu tun, (28) da nahm auch er es auf seine Arme und lobte Gott und sprach: (29)
Nun, Herr, entläßt du deinen Knecht nach deinem Wort in Frieden; (30) denn meine Augen haben dein Heil gesehen, (31) das du bereitet hast im Angesicht aller Nationen: (32) ein Licht zur Erleuchtung der Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel. (33) Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was über ihn geredet wurde. (34) Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird (35) - aber auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen -, damit die Überlegungen aus vielen Herzen offenbar werden."

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Zu Georg Leopolds privater Seite gehören seine Liebe zum Reisen, Literatur und Malerei.
Er glaubt, dass Gott in die Welt eingreift, und ist skeptisch gegenüber modernen Naturwissenschaften.