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Bürgerkultur

 

Georg zeichnet ein liebevolles Bild seiner Mitbürger.

Die einfachen Bürger sind abergläubisch.
Füchse, Rebhühner oder Nattern, die sich in die Stadt verlaufen, machen ihnen Angst.
Die geistliche Obrigkeit und die Gebildeten glauben, dass Kometen und Katastrophen
Gottes Willen offenbaren.

Die Bürger sind redlich und fleißig. Viele sind selbst in der größten Not zu ehrsinnig, um Almosen anzunehmen und verhungern.
Die Spießbürger sind stolz, sich wehren zu können. Nach 1631 lernen sie aber, dass sie gegen die Soldaten schutzlos sind.

Die Nachbarn halten die Bürger für Verräter, weil die sich als kaiserlicher Markt und
evangelischer Ort immer auf die Seite dessen stellen, der die Oberhand hat.
Dadurch werden die Redwitzer auch ihre Retter, denn sie geben ihnen Asyl, wenn sie fliehen müssen.

Die Gräuel und das zügellose Leben der Soldaten lässt manche Einwohner ihre Moral verlieren und sie werden Plünderer und Hehler.
Andere aber bleiben selbst in schlimmsten Zeiten ihrem evangelischen Glauben treu.

1649 bekennt sich die ganze Bürgerschaft wieder zur Augsburger Konfession.

 

 

Mentalität und Bürgerkultur - Langform

Die Mentalität der Redwitzer hätte nur ein Außenseiter beschreiben können. Georg Leopold ist in seiner Chronik zu parteiisch. Er ist kritisch gegenüber katholischen Geistlichen und ihrem Anhang, ist stolz, dass seine Mitbürger 1649 immer noch evangelisch gesinnt gewesen seien, und beklagt die Sündhaftigkeit der Menschen. Einige Wesensmerkmale kann man bei ihm aber doch finden.

abergläubisch

Die einfachen Bürger sind abergläubisch. Wenn sich Füchse, Rebhühner oder Nattern in die Stadt verliefen, sahen nicht nur „alte Weiber“ darin Unglücksomen.1 Die geistliche Obrigkeit und die Gebildeten dagegen nannten das Aberglaube, glaubten aber, dass sich Gottes Wille in Kometen2, Erdbeben und Katastrophen offenbare.3
Die Erklärung liegt in der Religion. Demnach greife Gott in das Leben von Gemeinschaften ein. Er ermahne damit zur Umkehr und warne. So sei es ja in Ninive oder Moses Ägypten geschehen. Bei Uneinsichtigkeit strafe Gott dann mit Unwettern, Seuchen, Schädlingsplagen und Katastrophen. Um das abzuwenden, dürfte ein orthodox Lutherischer nur beten, nach rechtem Handeln streben, solle Sünden meiden und auf einen gnädigen Gott vertrauen.
Anders verhält es sich aber, wenn Tiere als böse Omen gedeutet würden. Erstens sei das Unglück unabwendbar, was aber der Willensfreiheit als Gabe Gottes widerspräche. Zweitens sei eine unverdiente Strafe böse, also käme sie vom Teufel. Der Teufel kann aber (als Geist) nur von Tieren (dann müssten diese aber gleich beißen) oder Menschen Besitz ergreifen. Eine Prophezeiung wäre aber ein schöpferischer Akt, der Teufel kann aber nicht Schöpfer sein, das wäre Blasphemie (Manichismus). Was bei Georg Leopold nicht beschrieben wird, sind Abwehrrituale. Das wären Zaubersprüche, Handlungen und Amulette – also Hexerei. Geweihte Glücksbringer und gute Taten, um sich Gottes Gunst zu erkaufen, wären katholisch. Ohnedies ist es Zufall oder etwas Erklärbares, wenn sich ein Tier verläuft.
Für moderne Wissenschaft haben die Redwitzer nach Georgs Darstellung wenig Verständnis. 1654 berechnet die Astronomie eine Sonnenfinsternis voraus und die Medizin warnt vor den Veränderungen der Luft und Infektionen durch die Finsternis und empfiehlt Diät, Arzneimittel und das Haus nicht zu verlassen. Die Bürger nahmen daraufhin wahllos Mittel und „Geschmier“ von alten Weibern.

kleinbürgerlich

Die Bürger sind redlich und halten auf ihre Hausehre. Sie sind stolz, durch Fleiß in Landwirtschaft und Handwerk selbständig zu sein und ein bescheidenes Auskommen zu haben. In der größten Kriegsnot, bei Seuchen und Missernten sind sie zu ehrsinnig, um Almosen anzunehmen – und verhungern.4
Die „Spießbürger“ glaubten selbstbewusst, dass sie sich selbst verteidigen konnten (was sich als Trug erwies). 1631 besiegte ein Aufgebot eine bayerische Reitereinheit. Diese Virilität und unbesonnene Aggressivität gefiel Georg Leopold nicht. Er verstand, dass die gewaltsame Rekatholisierung manche Evangelische zu Fanatismus und Hass trieb, so dass sie nicht mehr an die Sicherheit ihrer Familien dachten. Leopold erweckt aber den Eindruck, dass Pfälzer für Rebellion anfällig seien, nicht seine Mitbürger.5 Die katholischen Soldaten vergaßen Überfälle, Verrat und Rebellion nicht und rächten sich mit Plünderungen.
Knauserig erwiesen sich die Bürger, wenn Georg Leopold sie vor Zahlungen an königliche Zollkommissare oder Offiziere bewahrte – sie wollten ihm nicht mal seine Kosten für Reisen und „Geschenke“ erstatten.6 Wenn ein Teil der Bürgerschaft ausgeplündert wurde, wollte Georg Leopold, dass sich die zufällig Verschonten beteiligten, doch die waren nicht bereit.
Im Laufe des Krieges wuchs die Missgunst zwischen Nachbarstädten und Dörfern. Mit den Wunsiedlern waren die Auseinandersetzungen teilweise heftiger, doch die Versöhnung mit den Konfessionsfreunden auch einfacher. Mit den katholischen Waldershofern verstanden sich die Redwitzer sogar im Frieden immer weniger. Die Pfälzer hielten die Redwitzer für Rebellen, Verräter oder Opportunisten. Da diese aber immer wieder Flüchtlinge aufnahmen, kam es zu Versöhnungsakten.7 Dörflas war immer die wirtschaftliche Konkurrenz von Redwitz am anderen Ufer der Kösseine. Der Markt wälzte oft Einquartierungslasten auf das offene Dorf ab. Wahrscheinlich musste man sich immer wieder zusammenraufen. Später war man eng verschwägert.8

kaisertreu

1630 waren noch viele Bürger bereit, für die evangelische Sache aufzustehen (wenigstens gegen die Bayern). Das hätte aber auch Rebellion gegen den Kaiser bedeutet, was die Bürgermeister aber nicht zuließen. Schon bald gab es so viele Gewalttaten durch katholische wie auch evangelische Truppen, so dass jeder die Notwendigkeit einsehen musste, dass er zum obersten weltlichen Herrscher der Stadt, zum Kaiser treu sein musste, um dessen Schutz zu behalten. Magistrat und Kirche hielten die Einwohner an, für den Kaiser zu beten. Beim Tode Kaiser Ferdinands II. (1578/1637) strömten viele freiwillig zu einem Nachruf in die katholische Kirche. Dann jedoch habe der Pfarrer nur eine katholische Messe gehalten und sie liefen wieder weg, so Leopold. Nach dem Krieg wurde auch häufig für die Gesundheit Ferdinands III., Ferdinands IV. und Leopolds I. gebetet. Die Bürger hatten also Verehrung für den Kaiser.9

evangelisch

Georg Leopold wollte als einen Wesenzug der Redwitzer sehen, dass sie trotz der Gräuel des Krieges und katholischer Verführungen und Zwangsmaßnahmen über Jahrzehnten am evangelischen Glauben festgehalten hätten.
Während des Krieges hatte er noch getrauert, dass keiner mehr wisse, ob er evangelisch oder katholisch getraut, getauft oder bepredigt würde.10
Die Gräuel und das zügellose Leben der Soldaten, laut Leopold auch das Predigen anderer Kirchen, ließ manche Einwohner ihre Moral verlieren. Der Bürgermeister stellte einen allgemeinen Werteverlust fest. Sünden von Trunksucht bis Mord würden nicht mehr als Sünden erkannt. Bürger wurden Plünderer und Hehler. Die Gewalttaten ließen die Menschen nicht nur körperlich sondern auch seelisch verkrüppelt zurück. Bis weit in die 1670er Jahre hinein berichtete Georg Leopold von Selbstmorden aus Verzweiflung11 und psychischen Problemen, wie Geistersehen.12 „Melancholie“ sei sehr verbreitet, womit er nach den geringen Beschreibungen zu urteilen, Psychosen und Depressionen meinte. Für manische Verhaltens hatte Leopold wohl nur Begriffe wie Völlerei (Fressen, Saufen, Tanzen, Unzucht). Als Abhilfe für das Letztere sah Leopold die sittliche Erziehung in der Kirche, für Melancholie empfahl er gutes Zusprechen (Selbstmörder) oder zeitweises Anketten bzw. Einsperren.13
Vielleicht folgten die Bürger ihrer Obrigkeit 1649 also nur aus Indifferenz (weil ihnen die Konfession inzwischen unwichtig war) und nicht aus Glaubensstrenge wieder zur evangelischen Konfession. Doch bis zum nächsten Jahrhundert wurde es ihnen zur Wesensart. Sie wussten, wenn sie allzu plakativ protestantisch wären, würden sie vielleicht doch noch rekatholisiert werden.

Fußnoten

1 Rebhuhn für Feuer, Leopold: Chronik Bd. I, S. 132 f. Natter unter Türschwelle ebd. S. 221; Füchse in Markt und Häusern Leopold: Chronik Bd. II S.95, 243; Arzberger: Herr Gib Frieden, S. 390
2 1630 Nordlichter, Leopold: Chronik Bd. I, S. 6; 1645 Sonne blutrot untergegangen mit vielen blauen Kugeln wie Nebensonnen ebd. S. 235; 1646 drei Sonnen mit Bogen, ebd. S. 249; 1654 Sonnenfinsternis; Erdbeben und Komet mit Tod des Kaisers, Leopold: Chronik Bd. II, S.108; 1654 erinnerte man sich an den Kometen von 1618, den man 1630 nachträglich als Vorzeichen (!) für den Dreißigjährigen Krieg bezeichnete.
3 1646 stand das Getreide besonders schön, doch Menschen waren durch den Krieg verdorben und ohne Gottesdienst ganz sündig. Also vernichtete Gott die Ernte an Korn, Kraut und Flachs mit Blitz und Hagel. Leopold: Chronik Bd. II, S. 217 f.
4 Vgl.: Leopold: Chronik Bd. I, 53, 82 – 84
5 Leopold: Chronik Bd. I, S. 12 – 16
6 Leopold: Chronik Bd. I, S. 72
7 1646 war Mitterteich völlig ausgeplündert und menschenleer. Georg rettete Reste von den eingeschmolzenen Glocken. Nach dem Krieg war Mitterteich dankbar für die Rückgabe. vergl.: Leopold: Chronik Bd. I, S. 253f. Zu Pfälzern als Flüchtlingen vergl. das Kapitel zur Bevölkerung.
8 Vergleiche dazu Akten des 18. Jahrhunderts zu Steuern und Besitzstreitigkeiten.
9 Tod von Kaisern: Leopold: Chronik Bd. I, S. 72, 75 f.; Kaiser in Eger 1673, Leopold: Chronik Bd. II., S. 296 – 302.
10 Leopold: Chronik Bd. I, S. 6
11 Leopold: Chronik Bd. I, S. 72 f.; Leopold: Chronik Bd. II, S. 25 f., 162, 200, 229, 306
12 Leopold: Chronik Bd. I, S. 196
13 Ein samischer Korbflechter und ein Metzger in Waldershof litten bei „besorgender Unruhe“ unter Realitätsverlust oder Tobsucht. Vergl.: Leopold: Chronik Bd. II, S. 249. Zu Selbstmord vergl. oben

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Überblick

Die Redwitzer waren ehrlich, fleißig und abergläubisch, kaisertreu und evangelisch.
Sie biederten sich dem jeweils mächtigsten Fürsten an, was die Nachbarorte verärgerte.