Zur Navigation springen Zum Inhalt springen

„Stadt und Crayß Eger mit ihrem angehörigen Marck Redwitz“

Bürgermeister, Richter und Rat von Redwitz wollten den Ort zu einer gottgefälligen, evangelischen Gemeinde umformen.
Dabei mussten sie auf komplizierte Machtverhältnisse Rücksicht nehmen.

Zwischenstaatliche Verhältnisse

Redwitz war ein Markt der Stadt Eger und unterstand der weltlichen Obrigkeit des Kaisers. Nach dem Dreißigjährigen Krieg übernahm der evangelische Markgraf von Brandenburg-Bayreuth die geistliche Schutzherrschaft. So verwickelt die realpolitischen Zustände waren, die besitz- und völkerrechtlichen Details waren noch komplizierter.
Eger war im Mittelalter eine Reichsstadt und ihr Kreis unmittelbares Reichsland. 1322 jedoch hatte der römische König Ludwig der Bayern (1282/1347, Kaiser ab 1328) es an den König von Böhmen, Johann von Luxemburg/Jan Lucemburský (1296/1346) verpfändet. Seitdem war das Egerland mit der Krone von Böhmen (Territorialrechte) verbunden, jedoch nicht mit dem Staatsgebiet, so dass es unter Reichshoheit des heiligen römischen Reiches blieb.
Theoretisch hätten die Egerer dem Kaiser das Geld für die Auslösung der Pfandschaft geben können und wären dann eine freie Reichsstadt unter dem Kaiser geworden. Doch die Habsburger, die später den deutschen Kaiser und den König von Böhmen stellten, ließen sich darauf nicht ein. Diese wollten Eger von den böhmischen Landtagsbeschlüssen abhängig und zu einer Königstadt Böhmens machen.1 Auch die Landstände wollten Stadt und Kreis in das böhmische Staatsgebiet aufnehmen. Deshalb schloss sich Eger dem Ständeaufstand von 1618 und Friedrich I. als König von Böhmen (1619/1620) nicht vorbehaltlos an, auch wenn es nur so seine evangelische Konfession verteidigen konnte. Die kaiserlichen und bayerischen Truppen konnten jedoch die böhmischen Truppen schlagen und trugen die Kämpfe bis in die Pfalz. Kaiser Ferdinand II. konnte sich nun über die privilegierte Stellung der Stadt hinwegsetzen. 1627 und 1628 beendete er die evangelische Religionsausübung in der Stadt. Er zog sie wie jede andere königlich böhmische Stadt zu allen Steuerleistungen heran. Die evangelischen Führungspersonen mussten ins Exil und wurden durch katholische Räte ersetzt. Landtage in Prag beschlossen mehrmals, Abgaben für den Kaiser einzuziehen. Eger wies 1639, 1644 und 1653 auch seinem Markt Redwitz einen Anteil zu.2 Die dauernde Vereinigung des Egerlands mit Böhmen verhinderte vorerst der fortdauernde Krieg.
In den Friedensverhandlungen ab 1643 war es immer ein Anliegen der evangelischen Reichsstände, die Stadt in ihren Rechten und der Augsburgischen Konfession wiederherzustellen. Vorkämpfer der Rechte der Stadt im Dreißigjährigen Krieg waren Wolf Adam Pachelbel und Mathes Dietl (der Schwiegeronkel Georg Leopolds), erst als Bürgermeister von Eger, später aus dem Exil. Der Westfälische Frieden bedeutete die völkerrechtliche Neuordnung Mitteleuropas. Die Habsburger Kaiser argumentierten, dass durch die „ewige Pfandschaft“ das Egerer Gebiet inzwischen gewohnheitsrechtlich ein Teil Böhmen geworden sei. Eger erscheint in den Akten der Friedensverhandlungen nicht mehr auf der Liste der Reichsstädte. Als Reichsstadt hätte Eger wieder die religiöse Situation von 1624 einführen können, also wieder evangelisch werden. Aber in der Situation von 1649 war sie nur „Stadt und Craiß Eger mit ihrem angehörigen Marck Redwitz“. Mit einem gleichnamigen Manifest erkannten Egerer und Exulanten das auch an. Wichtig war, ob die Bürgerschaft zur evangelischen Konfession zurückkehren und die Exulanten heimkehren durften. Den rechtlichen Standpunkt macht das Manifest der Stadt Eger („Vrsachen, warumben…“) deutlich und die Probleme skizzierte Georg Leopold in seiner Chronik ausführlich.3
1652 hatte der Kaiser Eger wieder seiner Herrschaft untergeordnet und 1653 die „Reformation“ zur katholischen Konfession abschließen lassen. (Im 18. Jahrhundert war Eger nur noch eine privilegierte Königsstadt in Böhmen, die immer mehr in die Prager Verwaltung eingebunden wurde.)
Auch der Markt Redwitz erkannte an, dass er als Teil Egers unter der Verwaltung Böhmens stand; schließlich zahlte er die Abgaben, die der Landtag beschlossen hatte. Oberster Herr war der Kaiser als König von Böhmen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts lag Redwitz im Einflussbereich des Klosters Waldsassen, dem es Kaiser Ludwig der Bayer im Jahr 1339 mit allen Rechten übereignet. Nur ein Jahr später jedoch verkaufte dieses Redwitz an die Reichsstadt Eger. Einige Dörfer und Höfe, die Redwitz außerhalb des Marktgebietes zu Lehen hatte, lagen auf Reichsgebiet, doch standen unter der Krone Böhmens. (Abgesehen von den leuchtenbergischen, den nothaftischen und stiftischen Lehen.) Der Kaiser hatte Redwitz 1628 rekatholisiert, weil der Markt zu Eger gehöre und er der Landesherr sei („cuius regio, eius religio“).
Nach 1648 durfte der Kaiser laut den Maßgaben des Westfälischen Friedens seine böhmischen Erbländer rekatholisieren. Im Reich hingegen musste er dulden, dass die religiösen Verhältnisse des Jahres 1624 wiederhergestellt wurden. Der Markt Redwitz lag aber im Reich. Der Kaiser argumentierte, dass er die Territorialgerechtigkeiten im Egerland habe und da Redwitz zu Eger gehöre, auch in dem Markt. Die Redwitzer gaben zu, dass sie der böhmischen Krone unterstanden, aber maßgeblich sei eben die Lage im Reich. Außerdem, so behaupteten sie, läge der Markt im Territorium der Markgrafschaft (Rezess von 1561 zwischen böhmischer Krone und Markgrafschaft). Im Bezug auf den Kirchgemeindebezirk waren 19 Dörfer fürstlich-brandenburgisch. Der Kaiser hätte es leichter gehabt, hätte er den evangelischen Redwitzern nachweisen können, dass sie gegen ihn als ihrem Herrn rebelliert hätten, im Krieg seine Truppen verraten oder an der Seite des Feindes gekämpft hätten. Die Untersuchung, die die Stadt Eger nach dem Krieg in seinem Namen durchführte, ergab aber keine Illoyalität des Marktes. Die Kontributionen an die Schweden geschahen unter Zwang (und Georg Leopold wischt in seiner Chronik jedes Indiz auf andere Taten beiseite).
Umgekehrt ergaben Rechnungsprüfungen durch die böhmische Kammer in Prag, dass die Redwitzer selbst in großer Not die Steuern an Eger und Kriegsbeiträge an den Kaiser gezahlt und katholische Kriegsvölker beherbergt hätten. Bei Ungehorsam hätte der Kaiser die Ratsmitglieder einsperren und ihren Besitz einziehen können – nicht anders war er ja nach 1628 in Eger vorgegangen. In Böhmen hatte er nach 1649 Soldaten in jede renitent protestantische Familie einquartiert, bis sie konvertierten. Die Redwitzer waren aber kaisertreu geblieben.
Die Redwitzer hatten sich aber im Reich des Rückhalts der evangelischen Reichsstände gesichert. Vor allem der Markgraf von Brandenburg-Bayreuth hatte ja Interessen. Die Pfarrer zahlten ihm seit Jahrhunderten Schutzhafer, und da er der Fürst über den Großteil der Dörfer in der Kirchengemeinde von Redwitz war, machte er sich auf Bitten der Bürger zum Schutzherrn. Die Situation wurde dadurch noch weiter kompliziert, dass der Pfarrhof ein Lehen des Stifts Waldsassen war, und der Kurfürst von Bayern die Verwaltung der Lehen beeinflusste und noch lieber gleich der „katholische“ Schutzherr geworden wäre.
Im Endeffekt kollidierten also in Redwitz die Interessen der evangelischen Reichsstände (Reichsstädte, brandenburgische Fürsten) und der katholischen Reichsstände (Kurfürstentum Bayern) mit denen des Kaisers. Sie wollten nicht, dass der Kaiser im Reich stärker würde. (In Frankreich standen zu gleichen Zeit die Adeligen als Fronde gegen absolutistische Bestrebungen des Königs.) Wegen Redwitz wollte allerdings kein Herrscher den Dreißigjährigen Krieg fortsetzen.4 Sie hatten bis 1652 anerkannt, dass Eger rekatholisiert wurde, und umgekehrt im reichen Habsburger-Schlesien erreicht, dass protestantische Gemeinden bestehen bleiben dürften. Da störte es alle, dass die eine Kirchgemeinde von Redwitz die völkerrechtliche Anerkennung ihrer evangelischen Religionsausübung verlangte. Die Vertreter der evangelischen Reichsstände legten Georg Leopold und seinen Kollegen in Briefen und auch bei Treffen bei Reichsversammlungen nahe, doch bitte keinen Staub mehr aufzuwirbeln und einfach unauffällig evangelisch zu bleiben.
Umgekehrt wollte auch der Kaiser kein Aufheben und war bereit, die Redwitzer evangelisch zu lassen, solange sie keine offizielle Anerkennung verlangten und der Status Egers nicht mehr diskutiert würde.

          „Wenn es sich mit Redwitz nit tun ließe,
          mit der Reformation fortzufahren,
          sollte man es beruhen lassen;
          wenn es der Stadt Eger nit zum Nachteil gereichen würde.“5

Der Reformationskommissar, Chemnitzer, der gerade 1653 Eger rekatholisiert hatte, schlug Georg Leopold diese Absprache unter Ehrenmännern vor: der Dorfpolitiker und der Kaiser wurden sich einig. Die Räte von Markt Redwitz würden diese verwickelten rechtlichen Verhältnisse und angeblichen Ansprüche bis 1816 nutzen, um ihre Handlungsfreiheit zu behaupten.

Magistrat und Verwaltungsbereich

Der Markt profitierte von seiner Zugehörigkeit zu Eger. Seit 1384 hatte er eine Magistratsverfassung nach Egerer Vorbild und weitgehende Selbstverwaltungsrechte. An der Spitze des Magistrats standen vier Bürgermeister. Vierteljährlich führte einer von ihnen als Amtsbürgermeister die Tagesgeschäfte. Ein Richter versah die niedere Gerichtsbarkeit und hielt mit Büttel und Wachen die öffentliche Ordnung aufrecht. Räte hatten beratende Funktionen. Große Entscheidungen trugen alle gemeinsam als Kolleg, Urkunden wurden ohne Einzelnamen „Bürgermeister, Richter und Rat“ unterschrieben. Der Rat von Eger bestätigte die Neuberufung von Amtsträgern bevor sie der Gemeinde in ihren Positionen vorgestellt wurden. Im Dreißigjährigen Krieg fanden einige „Ratsverneuerungen“ nicht statt, weil die Bürgermeister von Eger und ihre Rechtsbeistände nicht nach Redwitz kommen konnten.6 Ratsämter waren Ehrenämter. Die einzige Leitungsposition, für die es eine Entlohnung gab, war die des Gerichtsschreibers. So kam es, dass die meiste Amtserfahrung zu Georg Leopolds Zeiten der Gerichtsschreiber Sebastian Schmidt hatte. Schmidt war der Sohn eines Bürgermeisters von Waldershof, hatte aber wegen des Krieges nicht studieren können. Er heiratete die Witwe eines Redwitzer Bürgermeisters und wurde nach wenigen Jahren „in die geschworene Gemein gesetzt“. Zwölf Jahre war er beim Gotteshaus als Kantor angestellt. Von 1638 bis zum Tod 1674 hatte er sein Einkommen als Gerichtsschreiber.7 1639 wurde er Rat und 1645 übernahm er dann Georg Leopolds Posten als Marktrichter. Als Schreiber und Richter begleitete er die Bürgermeister auf heiklen diplomatischen Missionen.8 Schließlich war er ab 1657 auch einer der Bürgermeister.9 Der Machtbereich des Marktrates ging über das eigentliche Marktgebiet hinaus. Eger und Redwitz hatten die Gerichtsbarkeit nördlich der Kösseine innerhalb von 165 Schritten außerhalb der Mauern, südlich bis zur Mitte der Brücke. So war es im Rezess von 1562 und 1589 zwischen böhmischer Krone und Markgrafschaft festgelegt worden. Die Dörfer Pfaffenreuth und Manzenberg waren Besitz von Redwitz und „egerische Niedergerichtsbarkeit“, Markgraf und böhmischer König stritten sich aber immer wieder um die Hoheit. Daneben hatte der Markt auch noch Lehen in Form von Höfen, Anbauflächen und Einkünfte. Die sparneckischen Lehen lagen auf dem Territorium des Markgrafen (3 Häuser in Dörflas), die nothafftischen (u. a. bei Poppenreuth) in dem des Kurfürsten der Pfalz. Der Pfarrhof war ein Lehen von Waldsassen und wurde im 17. Jahrhundert durch die kurfürstliche Regierung Amberg vergeben. Ratmitglieder waren die Lehenträger, bei Todesfall musste das Lehen gegen Gebühren auf einen anderen übertragen werden.10 Lehensträger für die Öd Weißenbach war Georg Leopold. Dort bestand kein Dorf mehr und so waren die Afterlehensnehmer die Bauern von Pfaffenreuth.

Finanzverwaltung

Seit 1384 hatte der Markt an den zwischen Nürnberg und Eger bestehenden Zollvorteilen teil. Dafür musste er Steuern und Abgaben an das Losungsamt nach Eger abführen. (Erst 1758 wurden die Steuern direkt an das Kreisamt als Vertreter der böhmischen Krone gezahlt, die Abgaben an Eger.)11 Eger bekam vom Rat die Klotzsteuer (Klauensteuer) für das Recht, dass Bürger Vieh hielten und das Ungeld, dafür dass Bürger brauen durften. Damit er die Abgaben leisten konnte, zog der Rat Steuern und Abgaben von seinen Bürgern ein, die teilweise in der Summe viel mehr Ertrag erbrachten. Mit der Differenz finanzierte der Rat die Gemeindeausgaben. Redwitz lieferte darüber hinaus jährlich an die Magistratsbeamten in Eger 26 Laibe weißes Brot und 400 Maß Bier in 12 „Gebünden“. Das war eine Anerkennung dafür, dass Eger keine weiteren Abgaben erhob. Der Markt Redwitz erhob weitere Gebühren für die Benutzung des Pflasters und von Betrieben in städtischem Besitz, also der Mühlen, des Brauhauses, der Fleischbank usw. Im Krieg erhob der Markt auch Gebühren für das Unterstellen von Vieh von Flüchtlingen. (Vergl. im Kapitel zur Marktwirtschaft.) Andere „öffentliche“ Einrichtungen gehörten Stiftungen und diese hoben ihre eigenen Abgaben ein, auch wenn der Rat oft Grundstücke und Bauten finanziert hatte. (Der Pfarrhof bekam Gebühren für die Nutzung des Brunnens von 30 Haushalten. Das Gotteshaus als Kirchenstiftung trug den Unterhalt von Kirche und Schulen und wurde von Kirchenpflegern und –ältesten, meist Räten verwaltet. Die Lehrer wurden teilweise direkt von den Eltern besoldet. Die Geistlichen erhielten ihre Einkommen aus Pfründen und Zahlungen der Herren von Oberredwitz und Brand. Ende des 17. Jahrhunderts wurden Geistliche und Lehrer zu Angestellten des Markgrafen und „Ausländern“, um sie dem Zugriff katholischer Herrscher zu entziehen.) Ruinös sollten sich für die Stadtwirtschaft die Zahlungen erweisen, die die Krone Böhmens und die Landstände verlangten. Das Salzgeld, dass Böhmen über die Zollkommissare einhob und andere Zölle konnte der Markt in der Regel beschränken.12 (Vergl. im Kapitel zur Marktwirtschaft und zu Georg Leopolds Zollpolitik.) Im Krieg bluteten die Kriegssteuern für den Kaiser und die böhmischen Landstände, die Beiträge für Reichstage und die Einquartierungslasten den Markt aus. Die Zwangsabgaben an die Schweden kamen aber noch dazu.13

Rechtsprechung und Gottes Wille

Der Markt Redwitz übte die niedere Gerichtsbarkeit selbst aus. Für schwere Fälle war Eger zuständig. In der Frühen Neuzeit gab es noch keine Gewaltenteilung. Richter waren meist auch hohe Verwaltungsbeamte. In der Chronik treten deshalb die höchsten Beamten benachbarter Gerichtsbezirke, also in Bayern, den pfälzischen Fürstentümern und in der Markgrafschaft die Pfleger und Amtshauptleute, zugleich als Befehlshaber militärischer Aufgebote, Richter, Finanzverwalter (oft auch selbst als Kastner) usw. auf. Der Marktrichter von Redwitz war Teil des Kollegiums von Räten und Bürgermeistern und trug alle Entscheidungen der Politik und der Rechtssetzung mit. Er selbst leitete auch die Strafverfolgung. Oft konfrontiert er mit seinen Bütteln, bewaffneten Bürgern und angeworbenen Soldaten Straftäter oder fremde Soldaten. Verfahren der hohen Gerichtsbarkeit wurden in Eger geführt. Gerichtstaxen (Verhandlungen, Urteilsschriften usw.) und Geldstrafen flossen also in die große Stadt. Unabhängig davon mussten die Delinquenten aber auch die Kosten für Schreiber, Haftunterbringung, Büttel und Knechte an dem Ort begleichen, an dem sie anfielen. Der Markt überstellte also Verbrecher manchmal gar nicht erst nach Eger, um die Schreib- und Haftgebühren im Markt zu behalten. Umgekehrt bevorzugte Eger Geldstrafen. Unter Georg Leopold wurden aber nicht nur die schweren Verbrechen wie Raub, Mord, Ehebruch in Eger verhandelt. Auch zweifelhafte Fälle überwies Redwitz an das professionell besetzte Gericht, nicht zuletzt wenn einflussreiche Bürger in Delikte verwickelt waren.14 Das Gericht in Eger schritt natürlich auch ein, wenn Redwitz zu nachlässig war. Das traf zu, wenn sich Evangelische und Katholiken in ihrer Konfession beleidigten. Eger verurteilte dann schon mal Bürgermeister und Richter zu hohen Geldbußen, weil sie 1654 Waldershofer oder Wallfahrer aus Eger geschmäht hatten.15 1664 predigte ein Kurgast, ein Theologe der Universität Leipzig, gegen die Jesuiten. Eger zwang den Rat daraufhin, den Unruhestifter in Arrest zu legen.16 Damit stießen die Obrigkeiten aber an die Grenzen ihrer Zuständigkeit. Erstens wohnte der Gast im Pfarrhof, und der war ein kurpfälzisches Lehen. Zweitens war der Inhalt der Predigt nicht gegen bestimmte Jesuiten gerichtet, und darüber, ob sie theologisch korrekt war, hätte ein geistliches Gericht urteilen müssen (wie das Konsistorium in Bayreuth oder die Universität Leipzig), Eger war aber eine weltliche Gerichtsbarkeit. Drittens standen die evangelischen Geistlichen unter dem Schutz des Markgrafen, der prompt Musketiere in den Pfarrhof gesendet hatte. (Um nicht zu riskieren, dass der Markgraf als Sanktion Weiderechte aufkündigt, empfahl der Rat von Redwitz, den Gast einfach abreisen zu lassen.17 Zu Differenzen zwischen Markt- und Stadtgericht kam es, weil Redwitz andere protestantische Vorstellungen von gottgefälligen Strafen, Bußen und Wiedereingliederung hatte. Signifikant war das bei Sittendelikten. Katholische Gerichte wie in Eger werteten Unzucht unter Ledigen nicht so schwer wie protestantische. Nach Aussage des Kirchenvaters Augustinus müsste ein Gemeinwesen „aliqua mala“ dulden, in diesem Sinne bewahre etwas Prostitution die Jung- und Ehefrauen vor sexueller Gewalt. Die Protestanten hingegen fürchteten, dass Gott wegen Huren und Ehebrechern gleich ganze Gemeinschaften tilge wie Sodom und Gomorrha. Bei Ehebruch wollten die katholischen nicht so hart strafen: Zum einen hätte selbst bei einer Trennung der Wohnorte die Ehe weiterbestanden. Zum andern wollten sie keine Hinrichtungen oder Ausweisungen, den ohne Hausvater wären die Handwerksbetriebe bzw. Bauernhöfe zusammengebrochen oder die Familien elternlos geworden. Die Protestanten hingegen hatten die Möglichkeit der Eheauflösung. In ihrer Sicht der Bibel hätte der Ehebrecher auch viel eher sein Leben verwirkt (analog zur Steinigung). War der Schuldige weg, hätte der Unschuldige neu heiraten können und Familie wie Betrieb hätten fortbestanden. Gerichte beider Konfessionen zogen Versöhnungen der Partner vor. (Vergleiche Beispiele im Artikel zu Leopolds politischen Leitlinien.) 1636 wurden zwei Ehebrecher gefasst und nach Eger gebracht. Dort wurden sie aber nur zu einer geringen Geldstrafe verurteilt, so dass sie wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden konnten. In Redwitz hätten sich die Bürger gewünscht, die Reulosen aus der Gemeinde zu entfernen. Georg Leopold fürchtete die Strafe Gottes.18 1653 hingegen fand das Gericht in Eger endlich zu Strafen die auch Protestanten angemessen schienen. In Redwitz saßen zwei Ehebrecher im Gefängnis und der Marktrichter hatte die Untersuchung geführt. Aus Eger kam das Urteil, dass der ehebrecherischen Ehemann die Enthauptung und die Ehefrau die Stäupung verdient hätten. (Der Staupbesen war ein Bündel von Ruten, aber eben nicht so verletzend wie die Peitsche.) Aus Gnade solle der Mann nur 200 fl. als Strafe zahlen. Für die Frau lautete das Urteil, dass Sie drei Tage nacheinander mit entblößten Armen vor der Türe der Bartholomäuskirche stehen sollte, in der rechten Hand eine Rute und links eine brennende Wachskerze. Diese kirchliche Buße hätte gezeigt, dass sie eine reuige Sünderin sei und wieder mit ihrem Gatten versöhnt werden könne. (Eine Scheidung war nicht vorgesehen). So hätte für Georg Leopold eine gottgefällige Buße ausgesehen. Ganz anders empfanden die Bürger dieses vor der Kirche stehen als weltliche Schandstrafe genauso wie das Stehen am Pranger, wodurch sie ehrlos erschien. Eine Ehemann, der aber auf seine Hausehre achten musste, konnte eine Ehrlose nicht wieder annehmen. Das war gerade das Gegenteil von dem, was die Richter mit der Kirchenbuße beabsichtigten. Auf Bitte ihrer Freunde wurde sie dann zu einer unauffälligen Geldstrafe von 80 fl. verurteilt und ihr Ehemann konnte sie wieder aufnehmen. Vom Ehebrecher verlangte Eger dann doch bloß eine ermäßigte Strafe von 150 fl. Daneben musste er aber in Redwitz noch 10 fl. an das Marktgericht, an die Herren für Mühwaltung 10 fl., dem Gerichtsschreiber 4 fl. und dem Knecht (fürs Sitzen) 12 fl. als Gebühr bezahlen.19 Als Hohe Gerichtsbarkeit hatte Eger auch einen Scharfrichter. Den musste der Markt auch anstellen, um Selbstmörder zu beseitigen, was sehr viel Geld kostete.20 Daneben gab es auch konkurrierende Gerichtsbarkeiten. Im Frieden waren es die Herrschaften von fremden Einwohnern, wie im Fall von Oberredwitz der Rittergutsbesitzer, über ihm der Richter in Wunsiedel und dann der Bayreuther Fürst.21 Im Krieg behinderte die Militärgerichtsbarkeit die Rechtspflege im Markt, weil die Obristen der Regimenter keinen Soldaten verlieren wollten, in den sie investiert hatten.22 Hilfreicher war der kaiserliche Rumormeister, der Marodeure und Straßenräuber einfing.23

Innere Ordnung und soziale Disziplinierung

In der Frühen Neuzeit versuchten die Obrigkeiten mit neuen Methoden Wirtschaft und Gesellschaft zu ordnen. Die „gute Policey“ hatte aber nicht zuletzt das Ziel sozialer Kontrolle und Disziplinierung. Auch Leopold setzte als Bürgermeister Maßnahmen der „Policey“ durch, die laut seinem Nachruf nicht nur auf Gegenliebe stießen.24 Der Rat von Redwitz nahm 1663 für einige Maßnahmen ein markgräfliches Rescript zum Vorbild und baute es aus. Er untersagte das Fressen, Saufen, Tanzen, „Banquettieren“ und Spielen von Musikinstrumente, Gasthäuser wurden zu Gottesdienstzeiten geschlossen, Kirchendiener sollten besonders auf dem Lande gegen Unzucht predigen, und die Hausväter das Gesinde zum Besuch zusätzlicher Betstunden anhalten – alles mit der Begründung Gott zu bewegen, die Gefahr durch das Osmanische Reich abzuwenden. Die Handwerksgesellen, Knechte und Mägde ließen es sich freilich ungern verbieten, dass sie sonn- und feiertags nicht frei hatten, sondern in die Kirche gehen mussten. Sie verließen dann die Stadt und gingen in Waldershof oder Dörflas in Wirtshäuser oder auf Feiern.25 Die Hausväter wurden in die Disziplinierung des Gesindes eingebunden, indem ihr Recht zur Züchtigung und Kontrolle bestätigt wurden. Natürlich kam es den Hauseltern zu Gute, die Bewegungsfreiheit des Gesindes auf den Haushalt, die Arbeit und den evangelischen Kirchbesuch zu beschränken und ihre Arbeitskraft besser zu nutzen. Problematisch erwies es sich aber, dass Handwerksgesellen Knechte und Mägde oft katholisch waren und feiertags zum Kirchbesuch nach Waldershof ausliefen. Hauseltern wollten das unterbinden. Das konnten 1657 aber weder der Bischof von Regensburg als geistliche Obrigkeit in der Pfalz und dem Egerland, noch die Stadt Eger dulden. Sie ermahnten die Einwohner, ihre Haushaltsmitglieder nicht bei der katholischen Religionsausübung zu behindern. Der Rat musste das der Obrigkeit Eger zugestehen, doch der Pfarrer Stephan Leopold polemisierte.26 Georg Leopold sah als wichtigste Mittel dagegen, dass „Fressen Saufen, Hurerei, Fluchen, Schwören, Stehlen, Rauben, Morden […] fast für keine Sünde und Laster mehr wollte gehalten werden“ 27 den Ausbau der Schulen und Kirche. Der Rat finanzierte zwar den Bau von Schul- und Kirchengebäuden, doch Erziehung und Seelsorge waren nicht seine Aufgabe, sondern die der Kirche (bzw. zunehmend es Konsistoriums in Bayreuth). Zur „guten Policey“ zählten aber auch andere Maßnahmen. Der Rat unternahm im Rahmen seiner Medizinalaufsicht im Krieg häufig Maßnahmen zur Seuchenabwehr.28 1660 schloss der Rat die stinkende Fleischbank im Alten Rathaus und baute ein neues Schlachthaus nahe dem Fluss.29 Nach 1652 verbesserte der Rat die Feuerpolizei: Der Rat schaffte 14 Feuerleitern und Feuerhaken als Vorrat an.30 Ab 1656 sollte jeder Bürger oder zwei zusammen eine Feuerleiter haben, die wenigstens bis zum Hausdach und Rinne reicht.31 1663 wurde der Flaschnerturm am Rathaus zur neuen Büttelei umgebaut mit Wohnung und Gefängnis. (Das alte Haftgebäude war für eine Kontrolle des Stadtgebietes zu abgelegen) 32

6 Einträge gesamt.
<< Erste < Zurück 1 2 3 Nächste > Letzte >>

Seite 2 von 3

Überblick

Der Markt Redwitz gehörte bis 1816 zur Stadt Eger.
Er verwaltete sich weitgehend selbst. Justiz, Finanzen und große Politik bestimmten Eger und der Kaiser.